Vorwort

Gefühle bewegen uns. Auch wenn wir es nicht wollen.
Sie drücken sich aus in unserer Stimme, unserer Haltung, unserem Gang.
In der Art, wie wir atmen. Oder plötzlich nicht mehr atmen.

Was wir als Emotion wahrnehmen, ist oft erst das Echo.
Die eigentliche Bewegung beginnt früher – leise, im Inneren.
Noch bevor wir sie benennen können, hat unser Körper längst reagiert.

Feldenkrais arbeitet nicht mit Emotionen.
Und doch begegnet man ihnen ständig, wenn man sich bewegt.
Nicht weil sie gesucht werden. Sondern weil sie da sind.

In diesem Artikel geht es nicht um emotionale Verarbeitung im klassischen Sinne.
Es geht um Wahrnehmung.
Darum, wie Spannung im Körper mit Gefühlen verknüpft ist.
Wie Bewegung helfen kann, sich wieder zu orientieren.
Und wie man lernt, dazubleiben, wenn etwas auftaucht – ohne gleich etwas tun zu müssen.

Ich schreibe diesen Beitrag, weil ich erlebt habe,
wie Feldenkrais mich verändert hat.
Nicht über Einsicht. Sondern über Erfahrung.
Und weil das, was sich in einer Bewegung verändert, oft mehr bewegt als gedacht.


Die unsichtbare Verbindung – Haltung, Bewegung und Gefühlen

Emotionen sind nicht irgendwo.
Sie sind nicht nur in Gedanken, nicht nur in Worten – sie sind im Körper.

Du brauchst niemanden, der sagt „Ich bin traurig“, wenn du siehst, wie sich jemand bewegt.
Du hörst es im Tonfall. Du siehst es in der Art, wie jemand steht.
Du spürst es, obwohl kein Wort gefallen ist.

Gefühle drücken sich aus.
Nicht weil wir sie mitteilen wollen. Sondern weil sie nicht anders können.

Der Körper reagiert, noch bevor wir es merken:

  • Die Schultern ziehen sich leicht zurück.
  • Die Stimme wird fester. Oder bricht ab.
  • Der Atem bleibt flach.
  • Der Blick weicht aus oder wird hart.

All das passiert nicht als Haltung, sondern als Reaktion.
Nicht aus Entscheidung, sondern aus Schutz.

Wenn du mit Feldenkrais arbeitest, veränderst du nicht die Emotion.
Du veränderst die Bedingungen, unter denen sie sich zeigt.

Denn Bewegung ist nicht neutral.
Sie ist gefärbt von der Stimmung, der Geschichte, der momentanen Bereitschaft.
Wer sich erlaubt, langsamer zu werden, wird nicht nur körperlich feiner –
sondern oft auch emotional empfänglicher.

Und genau da beginnt das, was Feldenkrais leisten kann.
Nicht als Therapie.
Sondern als Möglichkeit, den Raum zwischen Reiz und Reaktion wieder zu betreten.


Warum „Loslassen“ nicht reicht

„Du musst einfach loslassen.“
Dieser Satz fällt oft – wenn jemand weint, wenn jemand zögert, wenn jemand sich verspannt.
Er klingt freundlich. Oder fordernd. Oder hilflos.
Aber er funktioniert nicht.

Denn Loslassen ist kein aktiver Vorgang.
Du kannst nicht loslassen, wenn dein System noch hält.
Und es hält nicht, weil du es willst – sondern weil es muss.

Spannung ist oft eine Entscheidung, die längst automatisiert wurde.
Sie schützt. Sie strukturiert. Sie ist gewohnt.
Und sie ist an etwas gebunden, das älter ist als dieser Moment.

Feldenkrais verändert diese Muster nicht direkt.
Es verlangt kein Loslassen.
Es bietet Alternativen.

Wenn du lernst, dich anders zu bewegen,
wenn du spürst, dass du zwischen Anspannung und Pause unterscheiden kannst,
wenn du merkst, dass du etwas nicht tun musst –
dann lässt dein System manchmal los.
Nicht weil du es willst.
Sondern weil es nicht mehr nötig ist.

„Loslassen“ ist dann kein Ziel.
Sondern eine Nebenwirkung von Wahl.


Der Moment der Wahl

Zwischen Reiz und Reaktion liegt oft… nichts.
Wir erleben, wir antworten.
Der Körper spannt an, der Ton wird schärfer, der Blick verengt sich.
Alles geschieht schneller, als wir denken können.

Und genau da liegt das Problem.
Nicht, dass wir fühlen. Sondern dass wir keine Wahl haben, wie wir fühlen – oder reagieren.

Feldenkrais verlangsamt diesen Ablauf.
Nicht durch Kontrolle, sondern durch Aufmerksamkeit.
Indem du dich langsamer bewegst,
indem du Unterschiede spürst,
indem du bemerkst, was du tust, während du es tust –
entsteht ein Moment dazwischen.

Ein Moment, in dem du nicht musst.
In dem du spüren kannst, dass es auch anders geht.
Dass du innehalten kannst, ohne zu erstarren.
Dass du reagieren darfst, ohne automatisch zu funktionieren.

Das ist keine Technik.
Es ist eine Erfahrung.
Und sie ist nicht spektakulär –
aber sie verändert alles.


Spüren statt regulieren

Emotionen zu regulieren ist wichtig.
Aber oft bedeutet das: runterregeln.
Nicht fühlen. Beruhigen. Funktionieren.

Was dabei verloren geht: die Wahrnehmung.
Nicht jede Reaktion braucht Beruhigung.
Manche brauchen Raum.

Feldenkrais schafft diesen Raum,
indem es den Fokus verschiebt:
Weg von „Was fühlst du?“
Hin zu „Wo merkst du das?“
In der Kehle. Im Brustkorb. In der Stirn.
Im Atem, im Muskeltonus, im Zucken der kleinen Bewegungen.

Propriozeption ist das körperliche Spüren im Raum.
Interozeption ist das Spüren im Inneren.
Beides sind Wege, Emotionen zu erkennen –
nicht als Etikett („Ich bin wütend“)
sondern als lebendige Qualität.

Manchmal reicht es, still dazubleiben.
Nicht erklären.
Nicht lösen.
Nur bleiben, während sich etwas zeigt.


Was unter der Spannung liegt

Spannung ist oft nichts, was du bewusst tust.
Sie ist etwas, das du gelernt hast zu halten.

Dein Brustkorb bleibt eng, weil du früh gelernt hast, nicht zu viel zu zeigen.
Dein Nacken hält sich, weil du nicht nachgeben wolltest.
Dein Becken kippt nicht mit, weil du unbewusst gelernt hast, Kontrolle zu behalten.

Diese Spannungen sind Muster.
Sie haben mal funktioniert.
Sie waren Teil von Überleben, Orientierung, Zugehörigkeit.

Das Problem ist nicht, dass sie da sind.
Sondern, dass sie sich nicht mehr verändern dürfen.
Dass dein Nervensystem sie nicht mehr infrage stellt.

Feldenkrais tut das nicht mit Gewalt.
Es unterbricht nicht – es bietet Alternativen.
Du machst eine Bewegung auf eine ungewohnte Weise.
Du spürst: Hier arbeite ich mehr als nötig.
Oder: Hier tue ich gar nichts, obwohl ich es könnte.

Und dann entsteht manchmal ein Moment,
in dem Spannung nicht mehr nötig ist.
Nicht, weil du sie loslässt –
sondern weil du sie nicht mehr brauchst, um dich sicher zu fühlen.

Feldenkrais löst keine Blockaden.
Es schafft Bedingungen, in denen sich Spannung von selbst wandeln kann.
Ohne Ziel. Ohne Druck.
Einfach, weil du eine andere Möglichkeit gefunden hast.


Vom Reiz zur Resonanz

Viele Reaktionen passieren, bevor du merkst, dass du reagierst.
Ein Ton. Ein Blick. Eine Bemerkung – und schon verändert sich etwas in dir.
Der Atem stockt. Die Schultern ziehen sich hoch.
Die Stimme kippt, das Herz klopft schneller, der Bauch wird fest.

Du nimmst es vielleicht erst später wahr.
Aber dein Körper war zuerst.

Feldenkrais verlangsamt genau diesen Moment.
Nicht durch Analyse. Sondern durch Erfahrung.
Wenn du dich bewusst bewegst,
spürst du: Wo fängst du an, mehr zu tun als nötig?
Wo gehst du mit, obwohl du nicht musst?
Wo hältst du zurück, obwohl dich niemand drängt?

In dieser Verlangsamung entsteht Spielraum.
Nicht nur im Körper – auch im Fühlen.
Du spürst eine Spannung früher.
Du bemerkst, dass du nicht sofort reagieren musst.
Und manchmal zeigt sich sogar ein ganz anderer Impuls,
der sonst von der Routine überdeckt worden wäre.

Resonanz ist kein „gutes Gefühl“.
Es ist ein Moment, in dem du mit dir in Kontakt bleibst,
während du etwas spürst –
statt dich automatisch davon zu trennen.

Das ist keine Regulation.
Es ist keine Technik zur Selbstberuhigung.
Es ist ein anderer Zugang:
Nicht weg von, sondern dabei bleiben können.


Abschluss

Du musst deine Gefühle nicht reparieren.
Sie sind nicht falsch. Nicht zu viel. Nicht gefährlich.

Aber sie bewegen dich.
Und manchmal fest.
Manchmal schneller, als du folgen kannst.
Manchmal so automatisch, dass du gar nicht merkst,
dass du eine Wahl hast.

Feldenkrais ist kein Weg, Emotionen zu kontrollieren.
Sondern ein Weg, sie zu bemerken, bevor sie sich verspannen.
Bevor du dich zusammenziehst.
Bevor du reagierst, wie du es immer getan hast.

Es geht nicht um mehr Selbstbeherrschung.
Es geht um mehr Spielraum.
Für dich. Für das, was da ist. Für das, was vielleicht noch gar keinen Namen hat.

Wenn du dich bewegst, spürst du dich.
Und was sich bewegt, darf anders werden.